Integrierter Wasserbau in Tadschikistan

(Text und Bilder Michael Steiner*, erschienen im Magazin "Umwelttechnik Schweiz 11/05)

 

Nicht nur die Schweiz hat mit Hochwasser und Murgängen zu kämpfen, auch die zentralasiatische Republik Tadschikistan. Sie ist neben wirtschaftlichen Problemen geprägt durch Naturgefahren, insbesondere Hochwasser, Murgänge, Hangrutsche und Erdbeben. Zum Schutze einer Kleinstadt von Murgängen und Hochwasser im Südosten des Landes erstellte Caritas Schweiz mit der lokalen Bevölkerung Ablenkdämme und in Tadschikistan einzigartige Geschiebeablagerungsplätze. Die Befestigung der Bauten zum Schutz vor Erosion erfolgte mit Drahtsteinkörben, so genannten Gabionen.


Die Stadt Muminabad (1'200 m ü. M.) mit rund 12'000 Einwohner liegt am Fusse einer Gebirgskette im Südosten des Landes, kurz vor der afghanischen Grenze. Grosse Teile der Stadt liegen auf zwei riesigen Schuttfächern und werden im Frühling durch die stark geschiebeführenden und mäandrierenden Gebirgsbäche gefährdet (Abbildung 1). Zwei Gebirgsbäche fliessen anschliessend anhand von kanalartigen Gerinnen durch das Siedlungsgebiet (HQ100 = 25 bzw. 50 m3/s). Das Gefälle dieser beiden Kanäle nimmt kontinuierlich ab und führt bei jedem Ereignis zu Auflandungsprozessen in den Gerinnen. Die Auffüllung der Gerinne mit Geschiebe (Bild 1) führt einerseits zur Verminderung der Abflusskapazität und andererseits zu besorgniserregenden Zuständen, wo das Flussbett bereits höher liegt als das umliegende Siedlungsgebiet und lediglich durch einen behelfsmässigen Erddamm geschützt wird (Bild 2).

 

Abbildung 1: Ansicht von Muminabad mit realisierten Schutzbauten.

 

Bild 1: Beschädigte Uferbefestigungen und Geschiebeablagerungen (Brücke war mal 4 m hoch) in einem Kanal durch Muminabad.

 

Bild 2: In den Ablagerungen versunkene sowjetische Betonplatten und angerissener Schutzwall in Muminabad.

 

Tiefgreifenden sozioökonomische Veränderungen
Der Zerfall der Sowjetunion und der anschliessende jahrelange Bürgerkrieg (1992-1997) tauchten das Land in dramatische sozioökonomische Veränderungen. Das Bruttoinlandprodukt der Republik Tadschikistan hat sich seit dem Fall der Sowjetunion auf einen Zehntel reduziert. Wobei der Distrikt Muminabad mit gleichnamigem administrativen Zentrum zu einem der ärmsten Distrikte im Lande zählt. Kohle und Gas zum Heizen und Kochen sind nicht mehr verfügbar und Strom fliesst von November bis April nur noch während 4 Stunden pro Tag. Die öffentliche Hand verfügt über äusserst beschränkte Mittel, so dass die von Sowjetischen Ingenieuren erstellten Schutzbauten und mit Betonelementen stabilisierten Kanäle seit 14 Jahren nicht mehr unterhalten beziehungsweise geleert werden können. Die drastische Abholzung sowie die ungeregelte landwirtschaftliche Nutzung der Einzugsgebiete erhöhen die Bodenerosion und bevorzugen den Eintrag von Schlamm in die Gebirgsbäche. Die Folgen der sozioökonomischen Verschlechterungen erhöhten die Vulnerabilität der Bevölkerung bezüglich Hochwasser und Murgängen in den vergangenen Jahren deutlich. Denn bereits kleine Ereignisse können nun die stark erodierten Schutzbauten durchbrechen, in den Kanälen überlaufen und erhebliche Schäden anrichten.

 

Einsatz von Drahtsteinkörben
Im Rahmen der ersten Projektphase (siehe weisser Kasten am Ende) wurde ein aus der Sowjetunion stammende stark erodierte 920 m lange Ablenkdamm oberhalb der Siedlung rehabilitiert und mit Drahtsteinkörben (Gabione) stabilisiert. Zudem wurde ein neuer 525 m langer Ablenkdamm erstellt, um den mäandrierenden Bergbach in den Kanal zu leiten. Der Damm wurde ebenfalls auf der Wasserseite mit Gabionen befestigt. Die Abbildung 1 zeigt die Stadt Muminabad am Fusse der Bergkette mit den eingezeichneten Schutzbauten der ersten Projektphase.
Die mit Steinen gefüllten Drahtkörbe erweisen sich als praktikable Verbauungsart im lokalen Kontext. Denn Gabione weisen folgende Vorteile auf:

- arbeitsintensiv und maschinenarm
- einfach zu unterhalten und zu reparieren
- Erstellung der Drahtgitter vor Ort
- Drainageeffekt
- erdebenresistent

Korrosion und Abrasion durch die schlamm- und geschiebeführenden Bergbäche sowie der Diebstahl der Drähte zählen zu den entscheidenden Nachteilen. Im Gegensatz zu den sowjetischen Gabionen, die ohne Verankerung einfach auf die Uferböschung gelegt wurden, wurden die Ablenkdämme und Geschiebeablagerungsplätze in Muminabad mit einer Verankerung ausgestattet um Unterspülungen vorzubeugen (siehe Abbildung 2). Denn die Dynamik der Bergbäche in der lokalen Topografie mit Bänken und Auskolkungen beanspruchen die Ufer stark.

Abbildung 2: Schnitt durch die Gabionstruktur des Ablenkdamms in Muminabad

 

Der Graben für die Verankerung wurde mit einem Schaufelbagger ausgehoben. Allerdings musste häufig auch von Hand ausgehoben werden, da der Bagger in Reparatur war. Die Verankerung von einer Gesamthöhe von 1.5 m ist alle 0.5 m anhand von zwei horizontal liegenden Drahtgittern verstärkt (Bild 3). Die grossen Steine (Durchmesser > 25 cm) für die Gabionenfüllung wurden hauptsächlich ein bis zwei Kilometer flussaufwärts gesammelt und mit Lastwagen zu den Baustellen transportiert.

 

Bild 3: Erstellung der Uferstabilisierung aus Drahtsteinkörben in minutiöser Handarbeit.

 

Erster Geschieberückhalt in Tadschikistan
Damit der Auflandungsprozess der beiden Kanäle durch die Stadt vermindert werden kann, wurden in der ersten Projektphase zu Beginn der beiden Kanälen, bevor sie die Bergbäche durch die Stadt leiten, je ein Geschiebeablagerungsplatz (GAP) erstellt. Die Geschiebeablagerungsplätze sind mit Erddämmen (befestigt mit Gabionen) begrenzt und mit einem offenen, rechenartigen Auslaufbauwerk aus Stahlbeton ausgestattet. Die GAP sollen einen Teil des gröberen Geschiebes zurückhalten und auch ein Murgangereignis bremsen können. Der Grossteil des Geschiebes von geringer Korngrösse soll jedoch durch das Auslaufbauwerk und den Kanal zum Stadtausgang abgeführt werden. Der geschaffene Raum der GAP bietet Platz für die Ablagerung von rund 10'000 m3 Geschiebe (Bild 4).

 

Bild 4: Sicht auf den Geschiebeablagerungsplatz mit offenem Auslaufbauwerk.

 

Die Erstellung der Auslaufbauwerke aus Stahlbeton stellte die grösste Herausforderung dar. Denn die Ansprüche an ein solches Bauwerk sind hoch, und doch standen so gut wie keine technischen Hilfsmittel zur Verfügung. Das gesamte Fundament sowie die „Zähne“ des Bauwerks wurden von Hand geschalt und gegossen, die Schalungselemente anhand von Draht zusammengehalten, der Beton vor Ort per Schaufel angerührt und mit Hilfe von Handbahren transportiert (Bild 5) und Dilatationsfugen behelfsmässig mit Styropor eingefügt. Glücklicherweise konnte in Tadschikistans Hauptstadt Dushanbe ein älteres Model eines sowjetischen Betonvibrators ergattert werden, so dass der gegossene Beton fast Schweizer Qualitätsansprüchen genügte...

 

Bild 5: Erstellung des Betonfundaments des Auslaufbauwerks. 30 Arbeiter mischten bis zu 12 m3 Beton pro Tag.

 

Die Prallseite der Betonzähne sowie die Oberfläche zwischen den einzelnen Zähnen auf dem Fundament wurden mit einer gemauerten Steinschicht verkleidet um den Beton vor Abrasion zu schützen. Bild 6 zeigt das Auslaufbauwerk eines GAP kurz nach der Fertigstellung.

 

Bild 6: Vollendetes offenes Auslaufbauwerk des GAP.

 

Billige Arbeitskraft für teuren Draht
Erstaunlich, mit welch - für westliche Verhältnisse - beschränkten Mitteln die Schutzbauten in Muminabad erstellt werden konnten. Denn die reinen Baukosten (Material, Bauarbeiter, Maschinen) der total rund 1.5 km langen Ablenkdämme und die zwei GAP inklusive Stahlbetonauslaufbauwerken beliefen sich lediglich auf etwas über 200'000 USD. Die wichtigsten Kostenpunkte stellten die 60 Tonnen Eisendraht bei einem Kilopreis von einem USD dar, gefolgt von den Löhnen der Bauarbeiter (rund 3-5 USD pro Tag). Abbildung 3 illustriert die prozentuale Kostenaufteilung am Beispiel der Drahtsteinkörbe.

Abbildung 3: Kostenaufteilung der Gabione in Muminabad, Tadschikistan. 1 m3 Gabion kostete 36 USD (Juni 2005).

 

Schlüsselelemente Unterhalt...
Die Gabione entlang der Ablenkdämme werden vor allem bei kleinen bis mittleren Abflüssen, wenn die Bergbäche auf dem Schuttkegel mäandrieren, stark durch senkrechte Erosion beansprucht. Regelmässige Kontrollen und kleinere Reparaturen sind unabdingbar – insbesondere nach Regenereignissen – um die Bauwerke vor grösseren Schäden zu schützen und ihre Funktionalität zu garantieren.

Die beiden GAP müssen regelmässig von dem abgelagerten Geschiebe befreit werden, damit sie ihre Funktion weiterhin erfüllen. Volle GAP sind funktionslos und stellen womöglich sogar eine Gefahr dar.

Der korrekte Unterhalt der Schutzbauten in den nächsten Jahren ist entscheidend für einen nachhaltigen Schutz von Muminabad vor Hochwasser. Daher wurde während der Implementierungsphase mit allen Akteuren (Regierung, NGO, Begünstigte) ein Unterhaltskonzept erarbeitet und schriftlich festgehalten. Kernpunkte sind die Ausbildung von sogenannten (bezahlten) Monitoring-Personen der Bauwerke, die Kontrolle der Bauwerke durch die Anwohner sowie den örtlichen Katastrophenstab und die Weisung, Kies und Steine nur noch in den GAP entnehmen zu dürfen. Die Bauwerke wurden der Regierung auf Gemeindeebene überschrieben. Sie ist somit auch für den Unterhalt verantwortlich. In einem Kontext von beschränkten öffentlichen sowie privaten Mitteln war jedoch sofort klar, dass der Unterhalt finanziell weder von der lokalen Regierung noch von den Begünstigten selbst getragen werden kann. Aus diesem Grunde werden die Unterhaltsarbeiten der Schutzbauten während den nächsten Jahren weiterhin durch Caritas finanziell unterstützt (Unterhaltsfond von 25'000 USD). Denn allzu oft werden irgendwelche technische Infrastrukturen im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit erstellt, die bereits nach ein zwei Jahren mangels Unterhalt ihre Funktion nicht mehr wahr nehmen können.

 

... und Soft Measures
Aus der Naturgefahren-Sicht wurde Muminabad während der UdSSR an einem denkbar ungünstigen Ort erstellt, denn die beste Naturgefahrenvorsorge bleibt der Bau an einem sicheren Platz. Aus Sowjetischer Sichtweise ist Muminabad ideal gelegen, da alle flachen und fruchtbaren Flächen für die Landwirtschaft genutzt werden können. Weitere vorbeugende – sogenannte - weiche Massnahmen (z. B. Einzugsgebietsmanagement, Warnsystem, Notfallkonzept, Zonenplan, etc.) können das Gefahren- und Schadenspotential vermindern. Daher wurden während der Erstellung der Schutzwasserbauten ein Risikodialog mit den involvierten Stellen der lokalen Regierung in Form von verschiedenen interaktiven Workshops eingeführt. Dabei wurde zum Beispiel auch immer wieder diskutiert, dass aus Sicherheitsüberlegungen hinter dem neuen Ablenkdamm keine Bauzone eingeführt werden darf. Ziel der zweiten Projektphase ist zudem, mit dem lokalen Planungs- und Baudepartment eine Gefahrenhinweiskarte zu erstellen, die dann bei jedem Baugesuch konsultiert wird.

Neben der Regierung wurde auch versucht mit gezielten Massnahmen (Flyer, Zeitung, Ausstellung) das Bewusstsein der Bevölkerung bezüglich Naturgefahren zu erhöhen. Denn wenn sich die Einwohner den ausgesetzten Gefahren bewusst sind und die einfachsten Präventionsmassnahmen kennen, kann das Schadenspotential gesenkt werden.

 

Nachhaltige wasserbauliche Lösung gibt es kaum
Mit dem Bau der Geschiebeablagerungsplätze oberhalb der Siedlung wurde versucht, das Problem der Geschiebeablagerungen in den Kanälen an der Wurzel anzugehen. Denn es wird einfacher sein, das Geschiebe im zentralen GAP zu entnehmen, als die Kanäle auszubaggern. Um den Hochwasserschutz zu vervollständigen, werden nun zusätzlich in der zweiten Projektphase die hydraulischen Engpässe in den Kanälen behoben und die Ufer an den kritischen Stellen mittels Längsverbau vor Erosion geschützt. Der Einsatz von Gabionen im Gebirgsbachverbau für die Ufersicherung der Ablenkdämme und der Kanäle bedingt einen regelmässigen Unterhalt, da die Lebensdauer der Drahtgitter durch Abrasion reduziert wird.

Auch die GAP müssen bewirtschaftet werden, was natürlich die Nachhaltigkeit der Schutzbauten in Frage stellt. Die nachhaltigste Lösung bestünde jedoch einzig in einer Umsiedlung, was jedoch weder praktikabel noch vertretbar wäre. Viel lieber wird ein integrierter Hochwasserschutz angestrebt, indem wo nötig mit lokal praktikablen Methoden hart verbaut wird und mit weichen Vorsorgemassnahmen komplettiert wird.

 

Das vorgestellte Projekt wird durch Caritas Schweiz implementiert. Denn Caritas Schweiz arbeitet seit dem Jahr 2000 in Muminabad und setzt ein DEZA Regieprojekt im Bereich Gute Regierungsführung um. Hochwasserschutz ist in Muminabad ein Anliegen der Bevölkerung. Doch fehlten bis anhin die Mittel und so wurde ein neues Projekt zur Verminderung von Naturgefahren auf die Beine gestellt. Das Budget vor Ort der ersten Phase (Mai 2004 – Juni 2005) betrug 310'000 USD und wurde zu einem Drittel von der DEZA und zu zwei Drittel von Caritas Luxembourg getragen. Das lokale Projektbudget der zweiten Phase (Juli 2005 – Juni 2006) beläuft sich auf 255'000 USD. Das Projekt steht im grösseren Rahmen des DEZA-Programms in Zentralasien zur Verminderung von Naturkatastrophen.

 

* Michael Steiner, 1975, Umwelting. EPFL, war Projektleiter für das Caritas Hochwasserschutz Projekt in Muminabad bis August 2005. Kontakt: info@point-d-eau.ch

 

Links:

www.caritas.ch
www.deza.ch
www.sdc.admin.ch/index.php?navID=10658
www.swisscoop.tj

 


Point d'eau - Contact - November 2005